Sportheim, 01. Dezember 2021
Eines der größten gesellschaftlichen Probleme in Deutschland ist der latente Antisemitismus, der sich gerade in den letzten Jahren bei einer Vielzahl von Anschlägen auf jüdische Einrichtungen gezeigt hat. Oft genug sorgen Unwissenheit und Unverständnis für Vorurteile, die solche Taten befeuern. Um dem entgegenzuwirken, hat der Zentralrat der Juden vor einigen Jahren das Projekt „Meet a Jew“ ins Leben gerufen. Dabei besuchen jüdische Jugendliche und Erwachsene Schulklassen oder Jugendorganisationen und erzählen dort aus ihrem Leben als Jude in Deutschland.
In den letzten Jahren hatten wir uns des Themas Antisemitismus bereits angenommen. Allerdings eher über die Seite der Erinnerungskultur – wir sind mehrmals mit unseren älteren Jugendlichen in das ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen gefahren und haben die schrecklichen Eindrücke auf uns wirken lassen. In diesem Jahr aber wollten wir neue Wege beschreiten und weniger in die Vergangenheit als mehr in die Zukunft gucken. Und dafür war eine Begegnung mit Meet a Jew genau das richtige.
Schon Wochen vor dem Termin hatten wir mit der Regionalkoordinatorin Kontakt aufgenommen. Man war über unsere Anfrage sehr erfreut, denn einen Besuch bei einer Jugendfeuerwehr hatte es bisher noch nicht gegeben. Nach einiger Zeit erreichte uns dann die Nachricht, daß mit Kirsten und Nuri zwei Freiwillige gefunden seien, die den Weg aus Hannover ins Schaumburger Land auf sich nehmen würden. Und so konnten wir die beiden am vergangenen Mittwoch im Sportheim begrüßen.
Da zurzeit gerade Chanukka gefeiert wird, begannen unsere Besucher damit, uns in die jüdischen Feiertage einzuführen. Neben dem Fest zur Einweihung des zweiten Tempels mit dem Ölwunder gibt es noch eine Vielzahl an Festen im Judentum. So sprachen wir über das Laubhüttenfest, vom Ursprung her ein Erntedankfest, das an die Zeit erinnert, als das Volk Israel in der Wüste lebte, und Jom Kippur, den Versöhnungstag. An diesem höchsten jüdischen Feiertag hält man Einkehr und versucht, sich mit Gott und allen, mit denen man im Unfrieden lebt, auszusöhnen. Der letzte vorgestellte Feiertag war Pessach, an dem an den Auszug aus Ägypten erinnert wird. Zu diesem Zweck wird im Vorfeld das Haus von allem gesäuerten gereinigt. Dazu gehört je nach Auslegung nicht nur gesäuertes Brot sondern auch alle anderen Weizenerzeugnisse. Glücklicherweise ist es erlaubt, die Whiskeysammlung für diesen Anlaß an den nichtjüdischen Nachbarn zu verkaufen und später zurückzukaufen, wie Kirsten augenzwinkernd hinzufügte.
In jeder Woche beginnt am Freitagabend für Juden der Schabbat. Dazu finden sich jüdische Familien zusammen und begrüßen das Wochenende. Am Schabbat ist es Juden verboten, zu arbeiten (bzw. wörtlich genommen „Feuer zu machen“). Das kann je nach Auslegung auch die Benutzung von Elektrizität verbieten. Da orthodoxe Juden dadurch auch keine Aufzugknöpfe drücken dürfen, gibt es in Israel Aufzüge, die automatisch in jedem Stockwerk anhalten.
Das Judentum ist keine monolithische Religion mit festen Regeln und einem Oberhaupt an der Spitze, wie das z.B. von katholischen oder orthodoxen Christen bekannt ist. Mit der Torah (den fünf Büchern Mose) und dem Talmud (der Erklärung der Ge- und Verbote der Torah) gibt es aber zwei Bücher, die für jeden Juden von größter Bedeutung sind. Die Auslegung dieser Regeln ist allerdings jeder Gemeinde und sogar jedem Juden selbst überlassen. So gibt es verschiedenste Strömungen von orthodox bis liberal und jeder Jude kann der für ihn passenden Gemeinde angehören.
Eine große Rolle im Judentum spielen die Speisegesetze. Dazu gehört es, vier Hauptpunkte zu beachten: - kein Schweinefleisch - keine Meeresfrüchte - keine Insekten - Trennung von Milch und Fleisch
Wie bei den anderen 613 Ge- und Verboten ist auch hier die Auslegung je nach Strömung unterschiedlich.
Bei der Vorstellung der jüdischen Traditionen ist uns auf jeden Fall deutlich geworden, daß Rituale und noch mehr die Familie eine große Rolle spielen. Da Juden seit Jahrhunderten eine Außenseiterstellung in Europa hatten, blieb ihnen kaum etwas anderes übrig, als sich auf die eigene Familie und ihre Gemeinden zu verlassen. Seit Gründung des Staates Israel gibt es wenigstens einen Rückzugsort, wenn es in den Heimatländern nicht mehr auszuhalten sein sollte – jeder Jude hat auf Antrag das Recht auf die israelische Staatsbürgerschaft. Allerdings mit allen Rechten und Pflichten – z.B. auch mit der Wehrpflicht für Männer und Frauen.
Kirsten und Nuri erzählten auch aus ihrem eigenen Leben. Beide haben, wie vermutlich jeder Jude auf der Welt, bereits Antisemitismus erfahren. Beide finden allerdings, daß es auch viele gute Seiten am Leben als deutsche Juden gibt. Leider wird aber in den Medien meist nur über Anschläge berichtet und weniger über positive Seiten des Judentums und den jüdischen Alltag.
Trotz der ernsten Thematik kam der Spaß nicht zu kurz. Oft konnte Kirsten zwischendurch lustige Anekdoten zum jüdischen Familienleben berichten. Und Nuri sorgte bei unserem Ober-96er Timon unfreiwillig für Schnappatmung, als er gestand, in Braunschweig studiert zu haben. Auch die kurze Führung durch unser Feuerwehrhaus vor der Veranstaltung sorgte bei unseren Besuchern für Heiterkeit – sie hätten nicht gedacht, daß ein Feuerwehrhaus so klein sein könnte…
Wir hoffen, mit der heutigen Veranstaltung den Jugendlichen eine ihnen neue Kultur etwas näher gebracht zu haben und mögliche Ressentiments gar nicht erst entstehen zu lassen. Vielen Dank an Kirsten und Nuri und das ganze Team von Meet a Jew. Wir hoffen, daß Ihr Eure wichtige Arbeit noch lange fortführen könnt und würden uns freuen, Euch vielleicht in einigen Jahren mit einer neuen Generation Jugendlicher wieder begrüßen zu dürfen.
Text und Bild: Raphael Drewnitzky
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